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Gemeinsam.Wissen.Nutzen – Ausländerbehörden für eine effiziente Fachkräfteeinwanderung rüsten

Ein Beitrag von Stephanie Schmidt und René Kubach | MRN

Adobe Stock / Robert Kneschke

Die Zielsetzungen von Max Weber und sein positives Bild der Bürokratie können als Voraussetzungen für einen funktionierenden demokratischen Staat angesehen werden. Gute Verwaltung ist zwar einerseits ein „Markenkern“ des Rechtsstaats, die Fülle an bürokratischen Regeln und Strukturen wird mittlerweile jedoch als ein Risiko für die Freiheit des Einzelnen und insbesondere für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wahrgenommen. Bei zunehmender Regelungstiefe und  dichte wird es in Deutschland immer schwieriger, mit adäquatem Aufwand geeignete Fachkräfte aus dem nicht europäischen Ausland zu gewinnen. Einen Aufenthaltstitel zu erreichen, ist komplex und zeitraubend. Ursächlich dafür ist zu großen Teilen die schwierige Situation, in denen sich die Ausländerbehörden (ABHn) befinden. Diese gestaltet sich, nicht erst seit den krisenbedingten Fluchtwellen der vergangenen Jahre, besonders dramatisch, auch im Vergleich zu anderen Behörden: Unter anderem sind die Fallzahlen in den vergangenen fünf Jahren in den ABHn am drastischsten gestiegen, gleichzeitig gehören sie zu den Ämtern mit den meisten unbesetzten Stellen.1  Zusätzlich sehen sich die Beschäftigten der ABHn in einem zunehmenden Spannungsfeld zwischen ihren ordnungspolitischen Aufgaben einerseits und dem Fachkräftebedarf der Unternehmen andererseits. Durch Umfang und Frequenz neuer Gesetze, Verordnungen und Ausführungsbestimmungen ist eine Dynamik erreicht, die von den Beschäftigten kaum noch zu bewältigen ist.–

Um Fachkräfteeinwanderung insgesamt effektiver und effizienter zu gestalten, müssen wir sie aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Was für ein Unternehmen die dringend gesuchte Fachkraft darstellt, ist für die Einreisewilligen eine Veränderung ihrer jeweiligen Lebenslage. Bei der Digitalisierung der notwendigen behördlichen Leistungen rücken die Prozesse in den Mittelpunkt. Für die Verfahrensbeteiligten stehen deren Aktivitäten – exemplarisch in Form von Rechtsanwendung, Abstimmungs- und Rechercheprozessen – im Fokus, die wiederum ein hohes Maß an Kooperation und Qualifikation erfordern.

Zahlreiche Prozesse starten jedoch nicht auf der Seite der Behörde, sondern bereits in den ERP- und HR-Systemen der Unternehmen. Aus diesem Grund ist es von hoher Bedeutung, dass diese Unternehmenssysteme über FIT-Connect der FITKO von Maschine zu Maschine kommunizieren und ihre Daten für die Fachverfahren der beteiligten Behörden bereitstellen und übertragen können. Hinzu kommt, dass die Veränderung der Lebenslage der Einreisenden viele Folgeprozesse auslöst. Es werden ganze Bündel an OZG-Leistungen erforderlich. Die Registermodernisierung und das Once-Only-Prinzip bilden hierfür eine wichtige Basis. Operativ bleibt es aber erforderlich, dass die Übertragung von Daten aus Unternehmenssystemen in die Fachverfahren der Behörden erprobt wird, ebenso welche OZG-Leistungen in Lebenslagen zusammengefasst werden sollten, um der individuellen persönlichen Situation der Einwandernden gerecht zu werden und weitgehende Automatisierung der Prozesse zu erreichen. Nur so wird sich eine Entlastung der ABHn über die Digitalisierung der Prozesse einstellen.

Der Blick auf die digitalen Prozesse stellt aber nur eine von vielen erforderlichen Perspektiven auf die behördlichen Aktivitäten im Rahmen der Fachkräfteeinwanderung dar. Die zeitliche und intellektuelle Hauptaufgabe der Beschäftigten der ABHn umfasst unter anderem Rechtsauslegung und Rechtsanwendung, Abstimmungs- und Rechercheprozesse sowie die Interaktion mit anderen Behörden und sonstigen am Verfahren beteiligten Akteuren. Diesen Aufgaben ist ein besonderes Augenmerk zu widmen.

Neben der bereits erwähnten Plattform FIT-Connect, die vereinfacht dargestellt als Intermediär zum Datenaustausch zwischen Fachverfahren und OZG-Anwendungen gesehen werden kann, rücken zwei weitere Plattformen in die Betrachtung. Diese sind als bestehende Lösungsansätze unmittelbar einsatzbereit und bedürfen nur einer kontinuierlichen Weiterentwicklung. Dies ist zum einen die Kooperationsplattform Komm.UNITY der Komm.ONE, die zu einer modernen Wissensmanagement-Plattform weiterentwickelt werden kann, zum anderen die Bildungsplattform KommunalCampus, an der unter anderem auch die ekom21 beteiligt ist.
Der Aufbau eines ganzheitlichen Wissensmanagements ist insbesondere für stark belastete Behörden wie die ABHn erforderlich, weil es diese an zwei entscheidenden Stellen zeitgewinnend unterstützen kann: Erstens macht die Recherche von Ausführungsbestimmungen, anderen rechtlichen Vorgaben, früheren Entscheidungen und vergleichbaren fallrelevanten Informationen einen erheblichen Teil des alltäglichen Arbeitsaufwands der Sachbearbeitungen in den ABHn aus; die „eigentliche“ Fallbearbeitung tritt dagegen in den Hintergrund. Die Vereinfachung dieser Vorarbeiten lässt sich also direkt in eine Beschleunigung des Gesamtprozesses übersetzen.
Zweitens leiden die ABHn unter hoher Personalfluktuation, wodurch wertvolles implizites und explizites Wissen verloren geht. Zudem sind viele neue Mitarbeitende Quereinsteigerinnen oder Quereinsteiger, die weniger fachliche und methodische Grundkenntnisse mitbringen. Gleichzeitig erfordert jeder Personalwechsel eine Einarbeitung. Da obendrein viele Stellen nicht nachbesetzt werden können, verteilen sich die täglichen Aufgaben auf weniger Beschäftigte, der Effizienzanspruch steigt. Notwendige Informationen müssen daher offen zugänglich und systematisiert zur Verfügung stehen.

Mit komplex gelagerten Projektstrukturen hat die Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) bereits langjährige Erfahrung: Sie entwickelt und erprobt bereits seit 2006 in verschiedenen ausgewählten Bereichen innovative Formen der interkommunalen Zusammenarbeit und führt gezielt fachliche Problemstellungen mit jeweiligen E-Government-Lösungen zusammen. Als Public-Private-Partnership an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Verwaltung ist die MRN Innovations-, Erprobungs- und Umsetzungsraum für länder-, ebenen- und fachübergreifende Digitalisierungsvorhaben. Sie vernetzt, unter anderem seit 2008 mit einem Arbeitskreis der 22 ABHn, die regionalen Stakeholder der MRN.

Ausgehend von Bedarfserhebungen und einem Anforderungsprofil aus Sicht der ABHn hat die MRN als ersten Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Wissensmanagement im Rahmen eines EU-geförderten Projektes2 eine Reihe von Online-Kursen entwickelt, die auf die besonderen Bedürfnisse der Ausländerbehörden zugeschnitten sind. Beispielsweise vermittelt ein Lernbereich Basiswissen zum Ausländerrecht, um insbesondere diejenigen Schulungsbedarfe abzufangen, die durch hohe Personalfluktuation und Quereinsteigerquote entstehen. Andere Lernbereiche decken Themen wie Fachkräfteeinwanderung, rechtliche Entwicklungen oder digitales Arbeiten ab.

Die digitale Bereitstellung der Kurse ermöglicht, sie unabhängig von Zeit und Ort zu nutzen. Dadurch können etwa neue Beschäftigte ab dem ersten Arbeitstag geschult werden, statt Wochen oder gar Monate auf den nächsten Fortbildungstermin zu warten. Darüber hinaus sorgt eine kleinteilige Untergliederung der einzelnen Kurse dafür, dass die Angebote stark individualisiert werden können: Lernende können Bekanntes überspringen, einzelne Lektionen wiederholen oder durch Bausteine aus anderen Kursen ergänzen. Sie können ganz im eigenen Tempo lernen, dank der kleinen Einheiten auch „zwischendurch“ im beruflichen Alltag, ohne ganze Tage für Schulungsveranstaltungen freihalten zu müssen.

Angenehmer Nebeneffekt: Die kleinteiligen Kurse lassen sich bei Bedarf leichter aktualisieren. Wenn Informationen später erneuert werden müssen, etwa aufgrund einer Rechtsänderung, sind im Idealfall nur einzelne Elemente zu überarbeiten, während andere Teile unverändert erhalten bleiben können.

Bei der Auswahl der Lehrformate steht Abwechslung im Vordergrund. Im Zentrum jedes Lernmoduls steht ein Video, das die Inhalte der Lektion medien- und zielgruppengerecht vorstellt. Ergänzt werden die Lehrvideos durch Texte und durch interaktive Prüfungen, mit denen der eigene Lernerfolg kontrolliert werden kann. Abwechslungsreich ist auch die Auswahl der Dozierenden: Diese stammen – für unterschiedliche Themenbereiche – aus Wissenschaft, Gerichtsbarkeit und Verwaltungspraxis.

Doch um fit für den Berufsalltag zu werden, reichen Fachwissen und Sachkenntnis allein nicht aus. Um einen Fall zu bearbeiten, muss man nicht nur die Rechtslage kennen und auf den Fall anwenden können; man muss auch mit Arbeitsabläufen und Handlungsschritten vertraut sein und ganz praktisch wissen, wohin man als nächstes klicken muss. Solches „Know-how“ ist in den Köpfen der Beschäftigten oft vorhanden, aber nicht explizit dokumentiert. Daher vermitteln die Kurse auch prozedurales Anwendungswissen, das sonst typischerweise im Rahmen der Einarbeitung weitergegeben wird. Lehrvideos stellen anhand von anonymisierten Beispielsfällen alle Arbeitsschritte vor, die zur Klärung einer Fallfrage erforderlich sind. Die Perspektive wechselt dabei von einer Gesprächs- oder Interviewsituation immer wieder auf den Bildschirm der Sachbearbeitung, damit jede erforderliche Aktion bis ins Detail nachvollziehbar ist.

Die Nutzungszahlen mit bundesweit mehr als 850 durchlaufenen Modulen belegen, dass diese Form der Wissensvermittlung zeitgemäß ist und modernen Lerngewohnheiten entspricht. Sie ermöglicht zudem behördenübergreifendes kollaboratives Lernen in virtuellen Gruppen. Eine solche Vernetzung dient parallel der Vereinheitlichung der Rechtsanwendung, beispielsweise bei Auslegungs- oder Ermessensspielräumen, und kann damit in hohem Maße zu einer einheitlichen Verwaltungspraxis beitragen. Denn gerade diese spielt für Unternehmen sowie Antragstellerinnen und Antragsteller eine wichtige Rolle. Verlässliche, einheitliche Informationen und Transparenz sind von großer Bedeutung – insbesondere, wenn Unternehmensstandorte und Einsatzorte der Fachkräfte in mehreren Bundesländern angesiedelt sind.

Eine Wissensplattform, die länderübergreifend iterativ weiterentwickelt wird, ermöglicht z. B. eine Einigung auf einheitliche Prüfschemata und damit Standards, die bundesweit angewendet werden könnten. Der niedrigschwellige und unkomplizierte Austausch von Anwendungs- und Erfahrungswissen durch eine bundesweite, virtuelle Vernetzung der ABHn auf Sachbearbeitungsebene kann neue Kolleginnen und Kollegen schneller handlungs- und entscheidungsfähig machen.

Doch eine rein horizontale Vernetzung und Abstimmung der ABHn auf kommunaler Ebene wird keine ausreichende Entlastung bringen und fallbezogene Entscheidungsfreude nicht zwangsläufig fördern. Die Abbildung von Dienstwegen und Zuständigkeiten auf der Vertikalen und damit die Einbindung der oberen Behörden und Ministerien ist für die Handlungssicherheit der ABHn zwingend erforderlich.

Parallel zur Prozessoptimierung durch Digitalisierung, unter anderem im Rahmen der weiteren OZG-Umsetzung, ist daher auch angesichts der Personalsituation in der öffentlichen Verwaltung im Allgemeinen und den ABHn im Besonderen angeraten, ein strategisches, plattformbasiertes Wissensmanagement zu konzipieren und zu erproben. Diese Notwendigkeit und vor allem die dadurch entstehenden Synergieeffekte wurden im Rahmen der gemeinsam von AWV und MRN organisierten Fachveranstaltung „Fachkräfteeinwanderungsgesetz II – wie setzen wir es um?“ bei der SAP SE in Walldorf von Unternehmen, ABHn und Ministerien bestätigt.3

Daher bietet sich an, für die fortlaufende Qualifizierung der Beschäftigten das erfolgreiche Pilotprojekt mit Unterstützung der Länder und des Bundes auszurollen und unter Nutzung der etablierten Plattformsysteme ein umfassendes Wissens- und Informationsmanagement als „Reallabor Fachkräfteeinwanderung“ in der Metropolregion Rhein-Neckar zu implementieren. Die nötigen formalen und strukturellen Voraussetzungen sind mit dem „Modellvorhaben Kooperatives E-Government in föderalen Strukturen“ und namentlich mit dem Engagement von Landrat Stefan Dallinger (Rhein-Neckar-Kreis) und Thomas Saueressig (Vorstandsmitglied SAP SE und Verein Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar) gegeben.

Ausgehend von dem bereits erstellten Anforderungsprofil eines persönlichen Dashboards aus Sicht der ABH-Sachbearbeitung sollte ein akteursübergreifendes Zielbild für ein „Digitales Ökosystem Fachkräfteeinwanderung“ entwickelt und mit agilen Methoden konsequent umgesetzt werden. Denn um den allseits geforderten 400.000 ausländischen Fachkräften pro Jahr ohne Verzögerungen einen Aufenthaltstitel zu Erwerbszwecken erteilen zu können, muss das Zusammenspiel von ABHn, BA, weiteren Behörden, aber auch Anerkennungsstellen (u. a. IHK-FOSA und HWKn) und sonstigen am Verfahren Beteiligten parallelisiert und idealerweise KI-gestützt beschleunigt werden. Hilfreich könnte auch der Aufbau eines „Rechtslabors Erwerbsmigration“ sein. Letztlich gilt es, über eine grundlegende Reform des Aufenthaltsrechts nachdenken: weg vom einem „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt“ hin zu einer „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“4 und damit weg von mehreren Dutzend Möglichkeiten. Aber, wie schon Max Weber schrieb: „Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit.“    


1 Vgl. Eva Thomann et al.: Ausmaß, Ursachen und Folgen der Überlastung der öffentlichen Verwaltung in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz: Eine Studie der Arbeitsgruppe für Verwaltungswissenschaft der Universität Konstanz in Zusammenarbeit mit dem Südwestrundfunk (Schlussbericht), 2024, online [25.11.2014].
2 Vgl. Metropolregion Rhein-Neckar e. V.: Ausländerbehörden vernetzen, online [25.11.2024].
3 Vgl. Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e. V. (Hg.): Fachkräfteeinwanderungsgesetz II – Wie setzen wir es um? Nachbericht zur Netzwerkveranstaltung von AWV und MRN. AVW-Informationen 70/4 (2024), S. 12 ff.
4 Marcus Bergmann et al.: Einwanderungsgesetz. Hallescher Entwurf zur Neuordnung der Dogmatik des Aufenthaltsrechts. Tübingen 2019.

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