- Digitalisierung & Modernisierung
Digitalisieren statt Elektrifizieren – Plattformbasierte öffentliche Leistungsnetzwerke als Ansatz zur Beschleunigung von raumbezogenen Genehmigungsprozessen
Ein Beitrag von Marco Brunzel | Mitglied des AWV-Vorstandes und Co-Leiter des AWV-Arbeitskreises „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“
In der AWV wurde im Oktober 2022 die neue Projektgruppe 1.2.1 gegründet, deren Ziel es ist, konkrete Ansatzpunkte für die Beschleunigung von raumbezogenen Genehmigungsverfahren sowie praxisorientierte Lösungsvorschläge zur Halbierung der Verfahrensdauer zu identifizieren. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen effizienter werden. Ein Paradigmenwechsel im IT-Einsatz der öffentlichen Verwaltung ist von Nöten, damit Deutschland die gewaltigen Herausforderungen, vor denen das Land steht, meistern kann.
Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen. Das Spektrum reicht dabei von dringend erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnungsangebotes in den Metropolen über die grundlegende Sanierung der Verkehrsinfrastrukturen, den Ausbau der erneuerbaren Energien bis zum klimaneutralen Umbau der Wirtschaft bei gleichzeitiger Sicherung der industriellen Basis. Um das alles schaffen zu können, müssen vor allem Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich schneller und effizienter werden. Das erfordert einen Paradigmenwechsel im Bereich des IT-Einsatzes im Bereich der öffentlichen Verwaltung. Die Arbeitsgemeinschaft Wirtschaftliche Verwaltung e. V. (AWV) will diesen Prozess in den kommenden Monaten aktiv mit voranbringen.
Deutschland hat in den letzten Jahren bewiesen, dass dringend erforderliche Maßnahmen auch schnell umgesetzt werden können – insbesondere dann, wenn Politik und Verwaltung in Bund und Ländern eng zusammenarbeiten und zugleich auch die Wirtschaft frühzeitig als Partner einbinden. Gelungen ist das beispielsweise bei der Beantragung, Berechnung und Auszahlung der pandemiebedingten Überbrückungshilfen für Unternehmen – sowie jüngst bezüglich der Planung, Genehmigung und Inbetriebnahme von LNG-Terminals zur Sicherstellung der energetischen Versorgungssicherheit nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges.
Inspiriert durch solche schnellen Umsetzungserfolge spricht die Bundesregierung inzwischen gern vom sogenannten „Deutschland-Tempo“ – als Metapher für die generelle Erhöhung der Geschwindigkeit bei der Bewältigung einer Vielzahl dringender Herausforderungen in Bezug auf die langfristige und klimaneutrale Sicherung von Wohlstand und Beschäftigung. Der Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung liest sich wie ein Katalog dieser Herausforderungen, die es nun nach der Corona-Pandemie und trotz des Ukraine-Krieges engagiert anzugehen gilt. Dabei rücken aktuell in zahlreichen Handlungsfeldern die raumbezogenen Planungs- und Genehmigungsverfahren besonders in den Fokus. Dabei wird offenkundig, dass Planungs- und Baubehörden in Bund, Ländern und Kommunen schon seit Jahren an und über der Belastungsgrenze arbeiten. Und mit Blick auf die generelle demografische und gesamtwirtschaftliche Entwicklung wird sehr schnell klar, dass heute und in Zukunft nicht nur Fachkräfte fehlen, sondern vor allem auch neue Lösungsansätze, um die Potenziale neuer vernetzter IT-Infrastrukturen zielgerichtet nutzen zu können.
Dabei gilt es auch, die Erfahrungen der Wirtschaft zu nutzen. Gerade in der Bauwirtschaft ist die digitale Transformation bereits weit fortgeschritten. Immer mehr Architekt:innen und Ingenieur:innen arbeiten auch in Deutschland längst vollständig digital. Entsprechend gehört die „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“ auf der Grundlage digitaler Schnittstellen und Prozessketten zwischen Wirtschaft und Verwaltung seit Jahren zu den strategischen Fokusthemen bzw. berechtigten Forderungen der Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft. Und auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und der Nationale Normenkontrollrat (NKR) haben in ihren Jahresberichten immer wieder auf die besondere Bedeutung und wirtschaftliche Hebelwirkung digitaler Genehmigungsverfahren für den Standort Deutschland hingewiesen.1 Daher war es nur konsequent, dass die amtierende Bundesregierung – wie zuvor auch schon viele Bundesländer – das Thema aufgegriffen und sehr prominent mit entsprechenden Zielen im Koalitionsvertrag bzw. mit konkreten Maßnahmen im Nationalen Reformprogramm 2022 verankert haben. Auf dieser Grundlage wurde Ende 2022 eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Bundesländer eingesetzt, um einen entsprechenden Bund-Länder-Pakt vorzubereiten. Zu den ersten Aktivitäten der Arbeitsgruppe gehörte eine Zusammenschau der maßgeblich durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) ausgelösten Entwicklungen (s. Abb.2).
Abb. 1: Aktuelle Handlungsfelder im Bereich der Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren
Abb. 2: Schematische Darstellung für die Identifizierung möglicher prozessübergreifender IT-Bausteine/Funktionalitäten für den schrittweisen Aufbau einer plattformbasierten Dateninfrastruktur für die digitale Abwicklung raumbezogener Genehmigungsverfahren.
Zu den positiven Entwicklungen der ersten Phase der OZG-Umsetzung gehört u.a. die von Mecklenburg-Vorpommern (MV) federführend auf den Weg gebrachte IT-Lösung im Bereich Digitale Baugenehmigung, die gemäß des sogenannten „Einer-für-Alle“-Prinzips (kurz EfA) aktuell in zehn Bundesländern bzw. knapp 150 Bauämtern parallel ausgerollt wird.2 Auf einem ähnlich guten Weg ist die von den Bundesländern Hessen und Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der Metropolregion Rhein-Neckar und dem kommunalen IT-Dienstleister ekom21 entwickelte EfA-Lösung im Bereich Breitband-Ausbau, der insbesondere in der Zusammenschau mit bereits bestehenden Best-Practice-Lösungen im Bereich kooperativer Dateninfrastrukturen (infrest/Berlin)3 ein vergleichbar großes Rolloutpotenzial im Bereich des Digitalen Straßenraums/Tiefbaus attestiert werden kann, wie der OZG-EfA-Lösung der Digitalen Baugenehmigung im Hochbau. Die Freie und Hansestadt Hamburg wiederum hat sich in den letzten Jahren vertieft mit dem Einsatz digitaler Technologien im Bereich der Planungs- und Beteiligungsprozesse beschäftigt und hier ebenfalls eine leistungsfähige und potenziell nachnutzbare OZG-Lösung entwickelt.4 Es stellt sich nun die Frage, wie die bereits entwickelten Lösungen den größtmöglichen Effekt für die Mission „Deutschland-Tempo“ entfalten können. Mit dieser Frage beschäftigte sich jüngst (im März 2023) auch der Ausschuss für Wohnen, Bauwesen, Stadtentwicklung und Kommunen des Deutschen Bundestages im Rahmen einer Expert:innenanhörung5.
Um einen eigenen konkreten Beitrag für das ebenso vielversprechende wie dringend gebotene noch engere ressort- und länderübergreifende Zusammenführen bereits erfolgter, laufender sowie geplanter und notwendiger Maßnahmen hinsichtlich der „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“ zu befördern, hat die AWV im Sommer 2022 eine entsprechende neue Projektgruppe ins Leben gerufen. Zu den ersten Aktivitäten gehörte die Erarbeitung einer fach- bzw. ressortübergreifenden Materialsammlung sowie einer fachlichen Positionsbestimmung. Zudem konnten erste konkrete Ideen hinsichtlich der Mit- und Nachnutzung bzw. Zusammenführung technischer Lösungen entwickelt werden. Dies betrifft u.a. die vom Bund hoch priorisiert geplante EfA-Lösung im Bereich der Anlagengenehmigung gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), von der insbesondere Genehmigungsverfahren im Bereich der regenerativen Energien aber auch der Industrie profitieren könnten. Konkret könnten hier die Vorarbeiten einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe zur technisch notwendigen Erneuerung der digitalen Antragsstrecke (Projekt „ELiA“-Formular) mit dem im OZG-Prozess entwickelten Lösungen im Bereich der digitalen Baugenehmigung bzw. der digitalen Planungsbeteiligung zusammengeführt werden. Ein potenzieller Treiber einer solchen Entwicklung könnte möglicherweise das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) sein, welches bekanntlich nicht nur für die Umsetzung der ambitionierten Digitalstrategie der Bundesregierung (einschließlich der entsprechenden „Hebelprojekte“)6 verantwortlich ist, sondern auch für das Fachplanungsportal des Bundes.
Doch um das „Deutschland-Tempo“ im Bereich der raumbezogenen Genehmigungsverfahren möglichst schnell und möglichst bundesweit zu erreichen, braucht es noch deutlich mehr als besseres Verzahnen bzw. Zusammenführen bereits bestehender technischer Lösungsbausteine. Die größten Potenziale neuer digitaler Technologien entstehen bekanntlich immer dann, wenn es gelingt, auf der Basis einer neuen intelligenten Analyse und Vernetzung von digitalen Daten neue institutionelle Arrangements zu etablieren. Das ist der Kern der Digitalen Transformation – im Gegensatz zum bloßen „Elektrifizieren“ bestehender Abläufe in bestehenden Strukturen. Aber auch hier gibt es bereits einige vielversprechende Ansätze. So verfolgt aktuell z. B. der interkommunale IT-Verbund Schleswig-Holstein (ITvSH) eine Idee zur Gründung eines interkommunalen Kompetenzzentrums Digitales Planen und Bauen, welches bereits auf der Annahme landesweit kooperativ genutzter IT-Anwendungen (u. a. OZG/EfA-Lösungen) sowie auf Erfahrungen des Normenkontrollrats Baden-Württemberg im Bereich einer stärker projektorientierten Verfahrenssteuerung aufsetzt. Durch das interkommunale Kompetenzzentrum soll u. a., auf Basis einer temporären interdisziplinären Zusammenarbeit von Expert:innen, erreicht werden, dass praktisch überall im Bundesland anspruchsvollste Genehmigungsverfahren in kürzester Zeit umgesetzt sowie mögliche dezentrale Lastspitzen abgefedert werden können.
Ein zentraler Erfolgsfaktor für die bereits im Rollout befindlichen OZG-Lösungen bildet (neben einem möglichst hochwertigen, die Einführung begleitenden digitalen Schulungs- bzw. Weiterbildungsangebot) auch die technische Weiterentwicklung sämtlicher IT-Lösungen im engeren Sinne. Dabei geht es neben der Anbindung zentraler Architekturkomponenten wie dem bundeseinheitlichen Unternehmenskonto bzw. Sicherer Digitaler Identitäten (z. B. Digitaler Architekt:innnenausweis) auch um eine höhere Automatisierung von Prozessen7, beispielsweise durch den Einsatz einer neuen Generation von Künstlicher Intelligenz/Chatbots (z. B. digitale Bauberatung über die Behördenrufnummer 115) sowie und insbesondere um eine noch stärkere Berücksichtigung aktueller Entwicklungen im Bereich neuer datenzentrierter Standards und Technologien wie Building Information Modeling (BIM) bzw. kooperativen Dateninfrastrukturen (Urbane Datenplattformen, Digitale Zwillinge, Gaia-X etc.).
Gerade BIM wird in Zukunft eine herausragende Bedeutung in Bezug auf die Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren zukommen. Denn mit Blick auf den deutlich höheren Informationsgehalt eines mehrdimensionalen BIM-Modells (3D + Material + zeitliche Abläufe + ggf. Kosten etc.) dürfte die Entwicklung und Etablierung eines zukünftigen BIM-basierten Bauantrags vermutlich das anschaulichste Beispiel für den enormen Nutzen des schrittweisen Zusammendenkens von Digitaler Verwaltung / E-Government und Smart City / Smart Region liefern. BIM-Modelle lassen sich auf der Basis entsprechender Plattformen nicht nur automatisiert prüfen, sondern mit den Daten aus BIM-basierten Genehmigungsprozessen lassen sich schrittweise kooperative Dateninfrastrukturen, z. B. in Form von Digitale Zwillingen aufbauen, auf deren Grundlage sich z. B. kommunale und regionale Baustellenverkehre und/oder Stoffströme berechnen bzw. optimieren lassen. Die dafür notwendigen leistungs- und echtzeitfähigen Dateninfrastrukturen entstehen aktuell vor allen in den vom Bund geförderten Modellprojekten Smart Cities8. Solche plattformbasierten IT-Infrastrukturen bilden wiederum die Basis für die Entwicklung und Etablierung gänzlicher neuer datenzentrierter Prozess- bzw. Wertschöpfungsketten – und zwar nicht nur auf kommunaler / regionaler Ebene.
Die erfolgreiche Umsetzung der pandemiebedingten Überbrückungshilfen für die Wirtschaft zeigt, welchen Beitrag neue institutionelle Arrangements leisten können. Über die initial innerhalb weniger Wochen aufgebaute Plattform wurde schrittweise ein Leistungsverbund von 5.600 Mitarbeiter:innen aus 21 Behörden in 16 Bundesländern und dem Bund gebildet, der 2,4 Mio. Anträge mit einem Gesamtvolumen von 54 Mrd. Euro abgewickelt hat. Dies zeigt das enorme Potenzial plattformbasierter Lösungen und neuer Formen der interinstitutionellen Zusammenarbeit im öffentlichen Sektor. Es wäre ein bedeutender Schritt in Richtung „Deutschland-Tempo“, wenn es gelänge, auch im Bereich der raumbezogenen Genehmigungsverfahren in solchen Dimensionen neuartiger Formen und Prozesse der föderalen Zusammenarbeit zu denken. Eine auch von der AWV unterstützte Kurzstudie des Nationalen E-Government-Zentrums (NEGZ) unter Federführung des Bauhaus-Universität Weimar soll dabei helfen, diese Potenziale plattformbasierter Lösungen im Bereich Planen und Bauen zu konkretisieren, um auf dieser Basis noch mehr Akteure für die aktive Gestaltung der digitalen Transformation im öffentlichen Sektor zu gewinnen.
1 Vgl. u. a. die Positionspapiere von BDI, NKR, DIHK zum Referentenentwurf der Novellierung des Onlinezugangsgesetzes.
2 Vgl. brain-ssc GmbH (Hg.): 10 Bundesländer, 25 Online-Dienste, 150 Bauämter, online [16.03.2023].
3 Vgl. ggf. Internetseite von infrest – Infrastruktur eStrasse e.V.: https://www.infrest-verein.de/.
4 Vgl. ggf. die Internetseite der Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen: https://diplanung.de/.
5 Vgl. Deutscher Bundestag (Hg.): Anhörung. Experten: Bauleitplanung noch stärker digitalisieren, online [16.03.2023].
6 Vgl. Marco Brunzel et al.: Kommunen als Erfolgsfaktor der digitalen Transformation, in: Kommunalpolitische Blätter, 04.10.2022, online [13.03.2023].
7 Vgl. David Roth-Isigkeit: Automatisierung im Baugenehmigungsverfahren, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 17 (2022), S. 1253.
8 Vgl. Internetseite des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: https://www.smart-city-dialog.de.
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