- Rechnungslegung & Steuern
Aktuelle Rechtsprechung zum Themenkomplex „Funktionsverlagerungsbesteuerung“
vonDr. Michael Puls (PwC)

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Dr. Michael Puls (PwC) erklärt, welcher Sachverhalt diesem Rechtsstreit zugrunde lag und welche Argumentation das Gericht vertrat.
Viele deutsche Unternehmen befassen sich gegenwärtig mit der Fragestellung der künftigen Ausrichtung ihrer Geschäftsmodelle. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche künftigen Märkte bedient werden sollen, d. h. insbesondere wo Produktions- und Vertriebstätigkeiten angesiedelt sein werden. In einem sich verändernden Struktur- und Wettbewerbsumfeld sind derartige Fragestellungen naturgemäß auch mit steuerlichen Aspekten verbunden; insbesondere die Besonderheiten der deutschen „exit taxation“ in Gestalt der im Außensteuergesetz (AStG) geregelten Funktionsverlagerungsbesteuerung bereiten hierbei immer wieder den Boden für erhebliche Streitigkeiten zwischen der Finanzverwaltung und grenzüberschreitend tätigen Steuerpflichtigen. Eine sehr junge Entscheidung des Finanzgerichts (FG) Köln zeigt anhand einer typischen Auslandsexpansion eines deutschen Unternehmens, welche Grenzen dem speziellen Besteuerungsregime der Funktionsverlagerungsbesteuerung gesetzt sein können (Entscheidung v. 13. Juni 2024, Az. 13 K 2752/20 (rkr)).
Wie lautet der Tenor der Entscheidung des Finanzgerichts?
So viel vorweg: In dem zugrundeliegenden Finanzrechtsstreit entschied das FG Köln zugunsten der Klägerin. Diese hatte gegen die Annahme der Finanzbehörde geklagt, dass eine Funktionsverlagerung im Sinne des Außensteuergesetzes vorliege (§ 1 Abs. 3 S. 9 ff. AStG a. F.). Denn die Finanzbehörde argumentierte diesbezüglich, die Klägerin habe die Funktion „Produktion von bestimmten Maschinenteilen für den NAFTA-Markt“ auf ihre US-amerikanische Tochtergesellschaft verlagert. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Klägerin diese Funktion zu keinem Zeitpunkt tatsächlich selbst ausgeübt hatte und somit keine Verlagerung stattgefunden haben kann.
Welcher Sachverhalt lag dem Streitfall zugrunde?
Die deutsche X-Gruppe, zu der die Klägerin als Konzernmutter gehört, ist im Maschinenbau- bzw. Automobilzulieferergeschäft tätig und produziert bestimmte Teile für den Fahrzeugbau. Die Klägerin hatte die grundlegende Konzeption für jene Fahrzeugteile und mit ihr zusammenhängende Leitungen in der Vergangenheit entwickelt, die nicht patentiert sind. Die X-USA, eine US-Tochtergesellschaft der Klägerin, war für den Vertrieb im NAFTA-Raum1 zuständig und hatte im Jahr 2008 einen Liefervertrag mit einem US-Unternehmen geschlossen. Die kundenspezifische Anpassung der Produkte erfolgte durch die X-USA, während die X-Polen (ebenfalls eine Tochtergesellschaft der Klägerin) die Produkte im Auftrag der X-USA fertigte. Die Klägerin stellte lediglich Patente und Know-how zur Verfügung.
Die Betriebsprüfung sah im Aufbau des weiteren US-Geschäfts eine tatbestandliche Funktionsverlagerung: Denn die X-USA habe bis einschließlich 2012 nur Routinefunktionen ausgeübt. Mit Gründung und Tätigwerden der separaten X-Mexiko, die ab 2013 als Auftragsfertiger für die X-USA tätig geworden ist, sei das „Produktionsrecht“ an die X-USA lizenziert worden und es seien entsprechende Lizenzzahlungen erfolgt. Mit der Umsetzung dieser Lizenzvereinbarung, welche das Nutzungsrecht an einer ganzen Reihe von Patenten, der Marke und von Know-how umfasse, sei für das Territorium NAFTA die „Funktion des residualgewinnberechtigten Produzenten“ von der deutschen Konzernmutter auf die X-USA übergegangen.
Welcher Argumentationslinie folgt das Gericht?
Das FG Köln hat sich dieser Sichtweise nicht angeschlossen; es hat vielmehr betont, dass eine Funktionsverlagerung zunächst grundsätzlich nur dann vorliegen kann, wenn eine Geschäftstätigkeit, die einen organischen Teil des Unternehmens bildet, in tatsächlicher Hinsicht verlagert wird. Da die Klägerin keine solche Produktionsfunktion in Deutschland ausgeübt hatte (lediglich X-Polen war für die Produktion zuständig), konnte auch keine Verlagerung erfolgen. Zudem wies das Gericht darauf hin, dass die Annahme einer Funktionsverlagerung nicht allein auf der Grundlage von Dokumentations- oder Mitwirkungspflichtverletzungen erfolgen kann. Im Einzelnen unterstrich das Gericht hierbei folgende Aspekte:
- Bereits die Einräumung von IP-Lizenzen für die Produktion spricht nach Ansicht des Gerichts klar gegen eine Funktionsverlagerung, da das „IP“ gerade weiterhin in Deutschland bei der lizenzgebenden Konzernmutter verbleibe.
- Der Begriff der „Funktion“ erfordert eine klare Abgrenzung und Eigenständigkeit; werden sachliche und personelle Produktionsmittel für verschiedene Produkte genutzt, liegt die „Funktion“ nur in der Gesamtheit der Tätigkeit.
- Auch wesentliche Änderungen des Tätigkeitsprofils einer ausländischen Tochtergesellschaft (X-USA) (verbunden mit der Aufnahme der Produktion in Mexiko) kann keine Einschränkung einer von der deutschen Konzernmutter zuvor ausgeübten Tätigkeit begründen, denn zuvor war hierfür die X-Polen verantwortlich (s. o.). Allein das geänderte Tätigkeitsprofil einer ausländischen Tochtergesellschaft lässt noch keinen Rückschluss auf eine Einschränkung bei der Konzernmutter zu. Die Funktion muss vielmehr zuvor auch tatsächlich in Deutschland ausgeübt worden sein.
- Eine bloße Zurechnung einer Tätigkeit einer anderen Konzerngesellschaft (hier Auftragsfertigung der X-Polen) reicht für das Vorhandensein einer „inländischen Funktion“ nicht aus; aus § 1 AStG kann prinzipiell keine „Fiktionswirkung“ abzuleiten sein (d. h. keine Annahme alternativer Geschäftsvorfälle).
- Es liegt auch keine Übertragung einer Geschäftschance (und mithin keine vGA) vor, denn eine hypothetische Geschäftschance stand der deutschen Konzernmutter (da X-USA die Geschäftschance eigenständig „akquiriert“ hatte) nie zu.
Interessant sind die Ausführungen des FG Köln zu den verfahrensrechtlichen Fragestellungen hinsichtlich der Beweislastverteilung bei Annahme einer Einkünftekorrektur durch die Finanzbehörde: Die Finanzbehörde hatte nämlich argumentiert, dass eine (spezifische) Dokumentationspflicht aufgrund des Vorliegens eines sog. außergewöhnlichen Geschäftsvorfalls bestehe. Als „außergewöhnlicher Geschäftsvorfall“ sei bereits die Änderung der Geschäftsstrategie der X-USA zum Vollproduzenten (und die damit aus deutscher Sicht einhergehende Funktionsverlagerung) anzusehen.
Dieser Ansicht hat sich das FG Köln ebenfalls nicht angeschlossen: Sinn und Zweck der Abgabenordnung (§ 162 Abs. 3 S. 1 AO) ist es nach Ansicht des Gerichts nicht, dass ein Geschäftsvorfall dem Grunde nach „vermutet“ werden kann, wenn hierfür hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte fehlen. Die Rechtsfolge des § 162 Abs. 3 Satz 1 AO greift daher – so das Gericht – nur bei unstreitigen oder durch die Finanzverwaltung nachgewiesenen bzw. aufgrund der Reduzierung des Beweismaßes anzunehmenden Geschäftsvorfällen ein, für die eine Dokumentation im Sinne der Abgabenordnung (§ 90 Abs. 3 AO) vorzulegen gewesen wäre.
Daher gilt, dass auch eine Verletzung von Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO (Dokumentationspflichten) nicht dazu führen kann, dass die Beweislast bezüglich der Feststellung des Vorliegens einer Funktion bzw. Funktionsverlagerung umgekehrt wird. Es bleibt letztlich eine „Einkünfte erhöhende Tatsache“, die von der Finanzverwaltung darzulegen ist.
Fazit
Die (mittlerweile) rechtskräftige Entscheidung ist vom FG Köln inhaltlich sehr ausführlich begründet worden und geht auf die zugrundeliegenden Rechtsfragen des Vorliegens einer Funktionsverlagerung detailliert ein. Die Entscheidung schafft eine sehr begrüßenswerte Klarheit im Hinblick auf die Fragestellung nach einer möglichen Funktionsverlagerungsbesteuerung; dies insbesondere bei Fallgestaltungen, in denen eine deutsche Konzernmutter nur Inhaber von IP-Positionen ist und diese lizenzhalber an ausländische Konzerngesellschaften zur dortigen Produktionstätigkeit überlasst. Das Gericht hat hier klar unterstrichen, dass auch bei derartig „outgesourcten“ Funktionen über § 1 AStG keine Fiktion einer inländischen „residualgewinnberechtigten Funktion“ abgeleitet werden kann, wenn das inländische IP an weitere Konzerngesellschaften lizenziert wird. Entscheidend ist für die Funktionsverlagerungsbesteuerung aus Sicht des FG Köln, dass – in tatsächlicher Hinsicht – die entsprechende Funktion im Inland auch tatsächlich ausgeübt worden ist; eine „Funktionszurechnung“ über § 1 AStG kann nicht in Frage kommen.
Beim Bundesfinanzhof (BFH) befinden sich derzeit noch zwei Verfahren des Finanzgerichts Niedersachsen „in Revision“ (Az. I R 43/23 sowie I R 54/23), die sich ebenfalls mit dem Themenkomplex der Funktionsverlagerungsbesteuerung beschäftigen. Es darf mit Spannung darauf geblickt werden, wie der BFH sich – neben der bereits vorhandenen Entscheidung vom 09.08.2023 (I R 54/19) – der Thematik weiter nähern wird.
1 Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (englisch: North American Free Trade Agreement, NAFTA) war ein Vertrag zwischen Kanada, Mexiko und USA zur Schaffung einer Freihandelszone. Weitere Informationen finden Sie etwa auf der → Website der Germany Trade and Invest - Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH.
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