Mit dem Job-Turbo schneller und nachhaltiger in Arbeit

AWV-Interview mit Daniel Terzenbach Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten (Oktober 2023 bis Juli 2024)

Herr Terzenbach, Sie sind seit 2019 Vorstandsmitglied der Bundes­agentur für Arbeit (BA) und wurden im Okto­ber 2023 von der Bundes­regierung zum Son­der­be­auf­trag­ten für die Arbeits­markt­inte­gra­tion von Geflüchteten berufen. Als Son­der­be­auf­trag­ter war es Ihre vornehm­liche Aufgabe, den vom Bun­des­ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Novem­ber 2023 ausge­rufe­nen „Job-Turbo“ zur Ar­beits­markt­inte­gra­tion von Geflüch­teten zu zünden. Was sind die Ziele des Job-Turbos und welchen Stellen­wert nimmt Büro­kratie­abbau im Zuge dessen ein?

Es geht darum, geflüchtete Menschen schnell und – das ist wichtig – gleich­zeitig auch nach­haltig in den Arbeits­markt zu inte­grie­ren. Der Job-Turbo soll sich insbe­son­dere um Menschen kümmern, die aus Inte­gra­tions­kursen kommen. Wir wollen Geflüch­tete, die nach ihrem Inte­grations­kurs über grund­legende Deutsch­kennt­nisse verfügen, möglichst rasch in eine Arbeit oder Aus­bildung ver­mitteln. So können sie ihre fach­lichen Kompe­tenzen im Unter­nehmen einbringen und ausbauen und dabei gleich­zeitig Sprach­praxis sammeln. Ein doppelter Vorteil: Vorhandene Kompetenzen gehen nicht verloren und neue Kompetenzen wachsen im Job. Gleichzeitig kann die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Fluchtgeschichte einen wertvollen Beitrag zur Arbeits- und Fachkräftesicherung leisten. Eine Win-Win-Situation mit vielen Aspekten.

Wenn wir auf den zweiten Punkt Ihrer Frage schauen, ist der Job-Turbo eine Art Brennglas für alle beteiligten Akteure. Mir war es von Anfang an wichtig, die Zeit der Sonderbeauftragung auch zu nutzen, um daraus Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Im ganzen Prozess sind wir deshalb transparent, verbindlich und lernend vorgegangen. Wir haben dabei nicht nur intern als Arbeitsverwaltung unsere Prozesse betrachtet und auf Chancen und Herausforderungen geschaut, wir haben auch mit unseren Netzwerkpartnern in enger Zusammenarbeit agiert und beobachtet, wo und wie wir uns gemeinsam verbessern können.

Ein Aspekt war hier auch der Bürokratieabbau und der digitale Ausbau mit klarer wirkungsorientierter Umsetzung. Die Sonderbeauftragung hat uns die Gelegenheit gegeben, behördenübergreifend Prozesse und Verfahren in den Blick zu nehmen und gemeinsam Vereinfachungen anzustoßen. Alle Erfahrungen, Erkenntnisse, Herausforderungen und Handlungsansätze fließen zurzeit in einem umfassenden Report zum Job-Turbo zusammen, der im Herbst veröffentlicht wird.

Besteht die Notwendigkeit, die Angebote nach Herkunftsland, Alter oder Geschlecht der Asylsuchenden zu differenzieren? Gibt es beispielsweise spezielle Angebote für geflüchtete Frauen?

Verschiedene Gruppen von Geflüchteten haben unterschied­liche Herausforderungen und Bedürfnisse, darauf müssen wir auch individuell reagieren. Gerade Frauen mit Fluchtge­schichte bringen großartige Fähig­keiten für den Arbeitsmarkt mit. Damit meine ich nicht nur fach­liche Qualifikationen, wie eine Ausbildung oder Studium im Heimatland, auch Mehrsprachigkeit, kulturelle Kompetenzen und Flexibilität sind wertvolle Fähigkeiten in der modernen Arbeitswelt. Aber nachhaltige Erfolge bei der Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Frauen können wir nur erzielen, wenn wir die Lebenssituation der Frauen in den Blick nehmen und individuelle und geschlechterspezifische Antworten bieten.

Schauen wir auf die Fluchtbewegung in den Jahren 2015/2016, dann sehen wir, dass die damals geflüchteten Männer heute zu drei Viertel in Erwerbstätigkeit sind. Anders sieht es bei den damals geflüchteten Frauen aus: Hier ist lediglich ein Drittel erwerbstätig. Ein großes Anliegen des Job-Turbos ist, dieses Gender-Gap zu schließen. Bei den Ukrainerinnen, die nach Deutschland geflüchtet sind, sehen wir hier übrigens erste gute Erfolge.

Frauen arbeiten deutlich häufiger als Männer in Tätigkeiten, die mit Sprache verknüpft sind, beispielsweise in Dienstleistungsbereichen, in Pflege- und Care-Berufen. Deshalb ist das Thema Spracherwerb und Sprachaufbau ein sehr wesentliches. Dass das Lernen und Anwenden von Sprache gelingt, ist ein zentrales Unterfangen auch und vor allem, wenn es um die Arbeitsmarktintegration von Frauen geht.

Gleichzeitig stehen geflüchtete Frauen oftmals vor besonderen familiären Verpflichtungen, wie Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Haushaltsführung und der Integration der Familie. Insbesondere familiäre Verpflichtungen können da die Zeit und Energie einschränken, die sie für ihre eigene Integration zur Verfügung haben.

Eine gezielte Unterstützung von Frauen kann ihnen helfen, ihre Potenziale zu entfalten und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, zum Beispiel mit Mentoring-Programmen und Coaching-Angeboten. Aber auch bei der Qualifizierung und beruflichen Weiterbildung sind Angebote in Teilzeit notwendig, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und in Kombination mit Spracherwerb angeboten werden. Zudem kann ein modulares Weiterbildungsangebot mit direktem Bezug zur Arbeitswelt gerade für geflüchtete Frauen sinnvoll sein, um eine Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Flexible Arbeitszeitmodelle erleichtern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat öffentlich festgestellt, dass das System zur Arbeitsmarktintegration zu langsam ist. Was wollen Sie, neben der Umsetzung des Job-Turbos, dazu beitragen, dass das System agiler, effizienter und nachhaltiger wird?

Es gibt drei große Baustellen, die auch über die Zeit des Job-Turbos hinausgehen und die Strukturfragen berühren. Zum einen ist das der Punkt Anerkennung von beruflichen Qualifikationen – da brauchen wir mehr Tempo, mehr Pragmatismus, mehr Digitalisierung und eine einfachere Sprache. Zu diesem Thema haben wir aus den Erfahrungen des Job-Turbos heraus bereits Impulse an die Bundesregierung, die Regierungen der Bundesländer und die Anerkennungsstellen gegeben. Der Job-Turbo sorgt an diesem Punkt auch für eine größere politische Aufmerksamkeit.

Das zweite Thema haben wir schon angesprochen: die Sprache. Wir brauchen eine substantielle Grundstruktur von berufsbegleitenden Sprachangeboten. Wir wissen, dass der deutsche Arbeitsmarkt sehr stark auf die deutsche Sprache ausgerichtet, fast schon fixiert ist. Deshalb müssen wir Angebote schaffen, die berufsbegleitend und individualisiert Sprachkenntnisse vermitteln. Es braucht Sprachangebote, die im Arbeitsmarkt sind, und es braucht gleichzeitig die Bereitschaft der Unternehmen, diese Angebote zu nutzen.

Und das dritte große Thema ist die Kinderbetreuung. Gerade wenn wir auf Geflüchtete aus der Ukraine schauen, sind dies zu einem überwiegenden Anteil Frauen, häufig mit Kindern. Wenn wir hier kein Angebot für die Kinderbetreuung schaffen, dann wird es auf der anderen Seite mit der Integration in Arbeit schwierig.

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